- Warum mögen auch Erwachsene Märchen? - Das aktuelle Interview
- Isabel Kretz - Nürnberger Anzeiger
- Warum mögen auch die Erwachsenen Märchen?
Die 68er Generation wollte von den altmodischen Geschichten nichts mehr wissen, doch seit einigen Jahren erlebt das Erzählen von Märchen und Sagen eine wahre Renaissance. Märchentage und Erzählabende sind gut besucht - nicht nur in der Vorweihnachtszeit und nicht nur von Kindern.
Ulla Konold hat mit dem Erzählen begonnen, als ihre Kinder auf die Welt kamen, heute ist sie eine der bekanntesten Märchenerzählerinnen in Nürnberg.
Frau Konold, warum sind Märchen- und Geschichtenerzähler seit ein paar Jahren so gefragt?
Konold:
Die Menschen genießen es wieder, einfach nur zuzuhören, an etwas direkt teilzunehmen.
Sie haben genug von den Massenveranstaltungen, in denen es nur ums Plakative geht. Was können Märchen den Menschen denn geben?
Konold: Den Menschen ist viel verloren gegangen, jeder ist auf sich allein gestellt, muss alles aus sich selbst heraus schaffen. Die Märchen sind Lebenshilfen, sie sind ein Spiegel, der die verschiedenen Phasen der menschlichen Entwicklung beleuchtet. In den Märchen geht es um "Seelenentwicklung" und "Persönlichkeitsfindung" und die Frage, wie man in der Welt bestehen kann.
Die Geschichten stammen doch aus einer ganz anderen Zeit. Warum sind ihre Aussagen heute noch gültig?
Konold:Die Bilder in den Märchen sind seit Jahrhunderten in allen Kulturen gleich. Es geht immer darum, dass Menschen lernen müssen, ihren eigenen Weg zu gehen. Das ist heute noch so. Schauen Sie sich nur die vielen gescheiterten Ehen an. Da hat einer versucht, den andern in sein Leben hineinzuziehen, ihn hinter sich zu reihen. Das ist ein menschlicher und natürlicher Weg. Nach sieben Jahren - dies ist übrigens auch der Rhythmus im Märchen - steht man wieder am Anfang. Besser wäre es, den Partner in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren. Genau diese Problematik behandelt die Geschichte vom Löweneckerchen, die ich Erwachsenen gerne erzähle.
Mit welcher Resonanz?
Konold: Meistens kommen zu diesen Veranstaltungen natürlich Paare. Da kann man schon beobachten wie sie sich im Laufe des Abends liebevolle Blicke zuwerfen oder die Hand des Partners nehmen. Ich habe aber auch schon Frauen weinen sehen, denen bei der Geschichte bewusst wurde: Das betrifft ja mein eigenes Leben.
Das Märchen als Therapie?
Konold: Märchentherapien räume ich große Chancen ein. Die Menschen werden ja pausenlos nur noch über den Intellekt angesprochen. Bei den Märchen können sie loslassen, sich einfach wohlfühlen, ohne einem Anspruch genügen zu müssen. Sie holen sich so ein Stück Kindheit zurück. Es bräuchte vielleicht gar nicht so viele Therapeuten, wenn mehr Märchen erzählt würden. Denn da werden die Menschen angehalten Krisen zu bewältigen und nicht einfach aufzugeben.
Wie wählen Sie ihre Geschichten aus?
Konold: Ich folge keinem bestimmten Prinzip, auf die meisten stoße ich durch Zufall. Ich denke, Märchen kommen zu einem, und nur die sind dann auch die eigenen. Ich erzähle nur Märchen, bei denen ich mich wohlfühle, hinter denen ich stehen kann.
Meistens erzählen sie ja nur für Kinder. Die Grimmschen Märchen jedoch sind selten im Programm, Andersen und Hauff gar nicht.
Konold: Die Grimmschen Volksmärchen sind so bekannt, dass auch die heutigen Kinder die noch kennen. Ich versuche, etwas Neues zu bieten. Geschichten aus fremden Ländern und Kulturen. Kunstmärchen allerdings sind für meinen Geschmack nicht für Kinder geeignet. Geschichten wie die Kleine Meerjungfrau von Andersen beispielsweise sind eine harte Lebensanklage und in hohem Maße schwermütig. Sie beschreiben erfolgloses Mühen. Ich will den Menschen Mut machen zum Leben, sie ins Licht entlassen.
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