- Im Gespräch - Im Märchen geht es um das wahre Leben
- Klaus Schrage - Nürnberger Nachrichten - Nürnberg Extra - 31.05.2008
- Im Märchen geht es um das Wahre Leben
Erzählerin Ulla konold sieht Ihre Geschichten als Lebenshilfe und Wegweiser zum Glück
Was sagt ein Fahrlehrer über Frauen? Was meint ein Radfahrer zu den Spritpreisen? Jede Woche äußert sich an dieser Stelle ein Nürnberger über ein Thema, das man nicht gleich mit ihm verbindet.
Heute im Gespräch: Märchenerzählerin Ulla Konold über Wahrheit.
Frau Konold, kann man mit Ihnen überhaupt vernünftig reden?
Ulla Konold: Aber sicher. Wieso denn nicht?
Als Märchenerzählerin haben Sie die Lizenz zum Flunkern...
Konold: Das ist der große Irrtum. Märchenerzähler sind Wahrheitserzähler. Märchen sind keine Lügengeschichten, sondern erzählen von den Problemstellungen des menschlichen Lebens. Sie laßen uns erkennen, welche Möglichkeiten wir haben, mit den Problemen und Aufgaben umzugehen.
Märchen sind also Lebenshilfe?
Konold: Absolut. Für mich sind es heilige Bücher. Meine ganze Ethik, Moral, Lebensphilosophie ist aus der Welt der Märchen entstanden. Ihre Bilder sprechen die Seele an. Sie erlauben es Menschen, Dinge an sich heranzulaßen, die er mit dem Verstand verdrängt oder nicht begreifen kann.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Konold: Nehmen wir das Bild des Drachen. Er steht für die dunklen Seiten unseres Wesens. Wir sind frei und wir haben in uns die Kraft zu entscheiden, wie wir mit Emotionen wie Haß, Neid oder Eifersucht umgehen. Es liegt an uns, ob wir uns in einen Goldenen Drachen der Liebe verwandeln oder ob wir in Bitterkeit versteinern.
Gibt es in unserer Gesellschaft deshalb so viel Unzufriedenheit, weil uns als Märchenerzähler nur Politiker geblieben sind?
Konold: Politiker sind auch nur Menschen. Würden sie aber mehr Märchenweisheit in sich tragen, wüßten sie, wie wichtig es ist, Herz und Seele anzusprechen und Kindern Zeit für ihre Reife zu geben. Unsere Eltern sind so voller Angst, daß ihre Kinder die Aufgaben des Lebens nicht bewältigen, daß sie sie schon von früh an therapieren laßen. Aber Märchen wie die Geschichte vom Däumling sagen: Du kannst dein Ziel erreichen, wenn du in Liebe, Toleranz und Achtung vor Fremden, Unbekannten durch die Welt gehst.
In modernen Medien-Märchen, den Casting-Shows, sollen Kandidaten in erster Linie funktionieren. Eine falsche Botschaft?
Konold: Mich erinnert das an ein Kinderbuch. Darin ging es um einen Fisch mit goldenen Schuppen. Er prahlt nicht, wird aber erst dann akzeptiert, nachdem er anderen Fischen seine goldenen Schuppen abgegeben hat. So signalisiert auch dieses schöne Buch: Erst wenn alle gleich sind, ist die Welt in Ordnung. Märchen hingegen ermuntern dazu, einen eigenen Weg zu finden und zu gehen.
Sind Märchen auch vor allem Trostspender? Etwa dann, wenn es um den Verlust eines Menschen geht?
Konold: Nein, so ist das nicht. Im Märchen wird klar: Jugend ohne Alter, Leben ohne Tod – das geht nicht.Man kann nicht immer jung, attraktiv und reich sein. So hätten wir das gerne, weil wir Tod, Alter oder Partnerschaftsprobleme gerne verdrängen. Märchen zeigen: All dies gehört zur menschlichen Entwicklung dazu. Versöhnung ist möglich. Der Tod ist nicht zu überlisten, aber wir brauchen keine Angst vor ihm zu haben.
Sind Märchen eigentlich eher für Kinder oder für Erwachsene gemacht?
Konold: Märchen wurden ursprünglich für Erwachsene erzählt, aber die Kinder waren immer dabei. Kinder akzeptieren Geschichten, in denen es ums Sterben geht. Aber Eltern übertragen ihre ängste auf die Kinder.
über die Frage, ob Märchen zu grausam sind und Angst machen, wird schon länger diskutiert.
Konold: Wir Menschen sind grausam - wir haben viele dunkle Drachenseiten. Märchen zeigen Wege zur Bewältigung dieser inneren Probleme. Zum Angstmittel wurden sie im Laufe der Zeit durch die Schwarze Pädagogik gemacht. Märchen wurden mißbraucht, umgedeutet. Etwa durch die Geschichten vom bösen Wolf.
Zum Glück geht es ja nicht nur um Gewalt und Tod.
Konold: In erster Linie geht es um die Liebe, die Aufgaben des Lebens zu meistern, und eine liebevolle Partnerschaft aufzubauen. Diese Qualität kommt zum Beispiel in den alttürkischen Nomaden-Märchen zum Ausdruck.Diese Märchen, vormals von Männern für Männer erzählt, sind geprägt von einer großen Achtung vor der weiblichen Kraft und Qualität.
Bieten Sie auch deshalb ein Programm über "Sex, Erotik und andere Dummheiten"?
Konold: Ich habe mich an den Satz erinnert: Man muß die Menschen da abholen, wo sie stehen. Sex und Erotik nehmen im Leben einen großen Bereich ein, also habe ich mich entschloßen, darüber humorvoll zu reden und dabei meine Werte einzuschmuggeln.
Welches ist Ihr Lieblingsmärchen?
Konold: Das kann ich jetzt gar nicht sagen. Ich tauche in jede Geschichte, die ich erzähle, mit all meiner Kraft ein. Eine Herzensangelegenheit von mir ist die Geschichten-Sammlung „Der Gemahl der Nacht“ von Elsa Sofia von Kamphoevener. Darin geht es um einen Traum, der uns wohl alle umtreibt. Einen Menschen zu haben, dem wir blind vertrauen können.
Und welches Märchen sollte jeder kennen?
Konold: "Das singende springende Löweneckerchen" aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. Diese große Lebensgeschichte erzählt von den Schwierigkeiten, den Partner zu akzeptieren, von Verlust und der Bereitschaft zum Neubeginn, selbst wenn "sieben Jahre Dornen" der Preis dafür sind. Da ist alles drin. Ich habe erlebt, daß Frauen im Publikum geweint haben, weil sie diese Geschichte aus ihrem eigenen Leben kannten.
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